Die erfahrenen Versuchungen als mögliche Buße

■ In allen drei ersten Evangelien (nach Matthäus, Markus und Lukas) wird uns jeweils von der Ankündigung der Leiden Jesu in Jerusalem berichtet. So heißt es im Lukasevangelium exemplarisch aus dem Mund Jesu: „Er nahm die Zwölf zu sich und sagte zu ihnen: ‚Seht, wir ziehen hinauf nach Jerusalem. Da wird alles in Erfüllung gehen, was die Propheten über den Menschensohn geschrieben haben. Denn Er wird den Heiden übergeben, verspottet und misshandelt und angespien werden. Man wird Ihn geißeln und töten. Doch am dritten Tag wird Er auferstehen.’ Sie verstanden aber nichts davon. Diese Rede war für sie dunkel, und sie begriffen nicht, was damit gemeint war“ (Lk 18,31-34).
Die messianische Erwartung der Israeliten bestand ja darin, dass der Messias nicht anders als sozusagen in Pomp und Gloria kommen sollte. Er würde eben in seiner ganzen Herrlichkeit hier auf Erden erscheinen und alle (irdischen) Feinde des Volkes Israel würden dann in Furcht ergriffen sein, geschlagen und aus dem Heiligen Land vertrieben werden. Israel würde dann herrschen und in Freiheit Gott dienen.
In diese Vorstellungswelt passte der Gedanke an einen Leidenden Messias überhaupt nicht hinein. Es war unvorstellbar, dass dem Gesandten Gottes (seitens der Israeliten) irgendetwas anderes widerfahren könnte als eben nur Ruhm, Ehre, Anerkennung. Leiden, Schmerz, Ablehnung (durch Israeliten) seien Ausdruck der Schmach und des Verworfenseins durch Gott – nie im Leben könnte so etwas dem Messias passieren!
So weisen auf diesem konkreten Hintergrund die Kirchenlehrer darauf hin, dass Jesus gerade aus dem Grund den Aposteln Seine Leiden in Jerusalem angekündigt hatte, damit sie wenigstens etwas darauf vorbereitet und dann eben nicht ganz geschockt wären bzw. Anstoß daran nähmen. Nun fügt ja der Evangelist dann noch den Kommentar hinzu, dass die Apostel dennoch absolut nichts davon verstanden hätten. Offensichtlich ging dies alles damals komplett an ihnen vorbei – sie waren weiterhin auf ihre bisherige typisch alttestamentarisch-jüdische Messiasvorstellung fokussiert.
■ Die katholische Kirche verwendet den betreffenden Abschnitt aus dem Lukas-evangelium im eigenen liturgischen Kalender am Sonntag Quinquagesima, dem letzten Sonntag vor Beginn der Fastenzeit, im Evangelium der hl. Messe. Dies macht chronologisch offenkundig Sinn – wegen der betreffenden Ankündigung des Leidensweges Jesu, welchen Er ja in Jerusalem werde erdulden müssen und der dann während der unmittelbar bevorstehenden Fastenzeit von den Gläubigen inniglich beherzigt werden soll.
Am Sonntag darauf, dem ersten Sonntag in der Fastenzeit, kommt dann im Evangelium der hl. Messe jener Abschnitt vor, der von den drei Versuchungen Jesu in der Würste berichtet (Mt 4,1-11). Der Zusammenhang ist klar: Jesus „fastete vierzig Tage und vierzig Nächte“ (4,2), ein analoges Fasten steht jetzt, zu Beginn der Fastenzeit, auch den Gläubigen bevor! Sie sollen also entsprechend eingestimmt werden und durch das bestreffende Beispiel Jesu immer wieder aufgebaut werden, bei ihren eigenen äußeren wie inneren Fastenübungen durchzuhalten.
Dann aber heißt es: „Zuletzt hungerte Ihn. Da trat der Versucher an Ihn heran und sagte zu Ihm“ (4,3). Es liegt wohl in der Logik der Sache, dass es Jesus eher gegen Ende dieser „vierzig Tage und vierzig Nächte“ „hungerte“. Und erst, als Er durch das betreffende lange Fasten (Seiner menschlichen Natur nach) stark geschwächt wurde, „trat der Versucher an Ihn heran“. Der Teufel wartete also in seiner List und Durchtriebenheit erst ab, bis Jesus durch Sein strenges körperliches Fasten ermattet war, und versuchte erst dann, die betreffende Schwäche des Körpers auszunutzen, die sich dann ja in der uns sehr gut bekannten Weise auch auf den Geist überträgt!
Gegen Ende unserer jedes Jahr liturgisch-kalendarisch begangenen Fastenzeit steht aber die Kar- bzw. Leidenswoche Jesu mit dem Karfreitag als dem betreffenden Höhepunkt Seines Sühnewerks zu unserem Heil! Also will die Kirche die drei Versuchungen Jesu durch den Teufel, die ja gegen Ende jenes Fastens in der Wüste stattgefunden haben, wohl bewusst in einen inneren Zusammenhang mit der Leidenswoche Jesu am Ende unserer liturgisch begangenen Fastenzeit bringen. Somit sollen wohl die betreffenden drei Versuchungen Jesu durch den Teufel bewusst als ein Teil Seines Leidensweges und Sühnewerkes erscheinen und von uns als solcher unbedingt angesehen werden!
■ „Alsdann wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, um vom Teufel versucht zu werden“ (4,1). Man bedenke, Jesus wurde vom Teufel versucht! Dieser Letztere wagte es, sogar auch an Jesus, den menschgewordenen Gott, heranzutreten, um Ihn in den gefährlichen Zustand der Versuchung zu versetzen! Der Heilige, Unsterbliche und Ewige Gott sollte also dazu verleitet werden, auf das unvorstellbar perverse und abgrundtief diabolische Ansinnen des Feindes Gottes und der Menschen einzugehen und dadurch gegen Sein eigenes Grundwesen zu verstoßen – ein williges Werkzeug des Teufels zu werden und allein dadurch schon eine Sünde zu begehen! Die Crux liegt darin, dass Jesus auf diese Weise dann sozusagen aufgehört hätte, Gott zu sein, weil Er sich ja dann in den Dienst des Bösen gestellt hätte, weil ja seinem Ansinnen folgend. So hätte dann der Teufel, „die Macht der Finsternis“ (Lk 22,53), über das Licht Gottes gesiegt, weil er es ja geistig sozusagen zum Erlöschen gebracht und sich gewissermaßen an die Stelle Gottes gesetzt hätte. Heißt es ja im Prolog des Johannesevangeliums in Bezug auf Jesus: „In Ihm war Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Das Licht leuchtet in der Finsternis; allein die Finsternis hat es nicht ergriffen. … Das wahre Licht, das da erleuchtet jeden Menschen, kam in die Welt. Er war in der Welt. Die Welt ist durch Ihn geworden; und doch hat die Welt Ihn nicht erkannt“ (Joh 1,4f. 9f.).
Wer wollte da noch zweifeln, dass dieses Versucht-Werden Jesu in der Wüste durch den Teufel nicht zentral mit Seinem Erlösungswerk im Sinn der geistig-moralischen Schwächung, ja substanziellen Vernichtung des unbedingten Einflusses der „Macht der Finsternis“ auf den Menschen zusammenhängen würde!
Zwar gaukelte der Teufel Jesus zunächst vor, er sei ein echter Menschenfreund, weil er sich ja angeblich aufrichtig um das Wohlbefinden Jesu kümmerte, der starken Hunger empfand: „Bist Du Sohn Gottes, so befiehl, dass diese Steine da zu Brot werden“ (4,3). In der zweiten Versuchung spielte er sogar einen Theologen und Experten in Fragen der Heiligen Schrift vor: „Da nahm Ihn der Teufel mit in die Heilige Stadt, stellte Ihn auf die Zinne des Tempels und sagte zu Ihm: ‚Bist Du Sohn Gottes, so stürze Dich hinab‘“(4,5f.). Denn es würde ja heißen in der Heiligen Schrift, die Engel Gottes würden Ihn beschützen. Die diabolische Anmutung war, würde sich Jesus nun nicht hinabstürzen, würde Er nicht wirklich auf Gott vertrauen und somit schwach im Glauben sein!
Und erst in der dritten Versuchung legt der Teufel eine jegliche Maske ab und zeigt sein wahres Gesicht bzw. offenbart seine eigentlichen Intentionen, die er nämlich auch schon bei den ersten beiden Versuchungen hegte: „Sodann nahm Ihn der Teufel mit auf einen sehr hohen Berg, zeigte Ihm alle Reiche der Welt samt ihrer Herrlichkeit und sagte zu Ihm: ‚Dies alles will ich Dir geben, wenn Du niederfällst und mich anbetest‘“ (4,8-10). Also will der Teufel nichts anderes als die Anerkennung seiner Oberherrschaft, die Bejahung seiner „moralischen“ Oberhoheit, auch wenn er sich zuerst zu Täuschungszwecken auf verschiedenste Art und Weise „verkleidet“ und verstellt – ob als ein großer Humanist oder frommer Theologe! Würde Jesus auch nur einmal darauf herein fallen und sich somit instrumentalisieren lassen, hätte Sein diabolischer Widersacher zunächst Einfluss und dann nach und nach auch die Kontrolle über Ihn gewonnen bzw. wäre somit gewissermaßen sogar auch mit (direkter oder indirekter) Gutheißung Jesu zur obersten moralischen Instanz bzw. zu „Gott“ erklärt …und hätte nebenbei auch die Erlösung der Menschen von der Sünde und seinem eigenen Einfluss auf sie verhindert!
Man gewinnt hier als Mensch wenigstens entfernt eine gewisse Vorstellung von der unendlichen Tragweite dieser Versuchungen und der bitteren Tragödie, die sich im reinen Geist und der gütigen Seele Jesu abgespielt haben muss! Wie muss es Ihm furchtbar zumute gewesen sein mitzubekommen und zu durchleiden, dass der Teufel, „die Macht der Finsternis“, sogar so unverfroren war, dass er Ihn praktisch zur Verneinung Seiner Gottessohnschaft verleiten und somit selbst die Stelle Gottes einnehmen wollte! Statt den heiligen und menschenfreundlichen Willen Seines himmlischen Vater zu erfüllen, würde Jesus in den Dienst der Unterwelt gestellt sein; statt den göttlichen und friedenstiftenden Segen zu spenden, würde Er gezwungen sein, den „Segen“ des Teufels, nämlich dessen gottleugnenden Fluch, zu verbreiten; statt die beglückende und beseligende Liebe Gottes in diese Welt zu bringen, würde dann der Hass der dunklen Macht über der Welt herrschen! Eben diabolisch: alles wertemäßig zu verdrehen und alle entsprechend zu verwirren, um leichter über sie herrschen zu können!
Während Seiner späteren Gefangennahme im Garten Getsemani qualifizierte Jesus diese letzte zeitliche Phase seines irdischen Lebens folgendermaßen: „Aber das ist eure Stunde und die Macht der Finsternis“ (Lk 22,53). Gewissermaßen hat sich diese „Macht der Finsternis“ auf geistig-moralischer Ebene auch schon während der an Ihn nun in der Wüste durch den Teufel herangetragenen Versuchungen überdeutlich herauskristallisiert – vorerst also „nur“ auf der gedanklich-prinzipiellen Ebene, die dann später, am Gründonnerstag und Karfreitag, zur grausam-blutigen Realität wurde!
■ Der hl. Papst Gregor der Große führt bei der betreffenden theologisch-geistlichen Analyse des betreffenden Evangelium-Abschnitts eine wichtige Unterscheidung bezüglich der verschiedenen Arten der Versuchung als solcher an bzw. ein, wie dann im Römischen Brevier am betreffenden Ersten Fastensonntag (in der 3. Nokturn/Nachtstunde der Matutin) nachzulesen ist: „Wir müssen aber bedenken, dass eine Versuchung auf dreifache Weise vor sich gehen kann: durch Anreiz, durch wohlgefälliges Verweilen, durch Einwilligung. Wenn wir versucht werden, so fallen wir gewöhnlich durch wohlgefälliges Verweilen im Bösen oder auch durch Einwilligung in das Böse; denn wir sind sündigem Fleische entsprossen und tragen in uns den Keim, durch den wir Anfechtungen erleiden. Gott dagegen wurde im Schoße der Jungfrau Mensch und kam sündenlos auf diese Welt; Er trug keineswegs diesen Widerstreit in sich. Er konnte also durch Anreizung versucht werden, aber kein Wohlgefallen am Bösen verwundete Seinen Geist. Daher war auch diese ganze Versuchung des Teufels nur äußerlich, nicht innerlich“ (Deutsches Brevier. Band 1. Herausgegeben von Dr. Johann Schenk. Pustet Verlag, 1936, S. 424.).
Das heißt nicht, als ob jene drei Versuchungen Jesus nichts oder kaum etwas angetan hätten und Er sie sozusagen mit Links weggesteckt hätte. Wir kommen ja auch manchmal in Berührung mit Versuchungen, an denen wir kein Wohlgefallen haben geschweige denn in sie einwilligen. Moraltheologisch ist der „Anreiz“ der Sünde allein, also das In-Berührung-Kommen mit ihr, noch keine Sünde – dem kann man sich oft nicht entziehen. Erst wenn wir innerlich Gefallen an der betreffenden sündhaften Anmutung finden, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick, beflecken wir unsere Seele entsprechend. Umso unmoralischer dann natürlich die „Einwilligung“, die bewusste Zustimmung zum unmoralischen Inhalt der Versuchung.
Aber allein schon die Tatsache, dass wir mit einer sündhaften Anmutung in Berührung kommen – wenn uns nämlich bewusst wird, dass wir zu bestimmten furchtbaren Dingen und ganz schlimmen Sünden verleitet werden sollten, mit denen unser Geist bis dahin vielleicht nicht einmal etwas zu tun hatte und die bei weitem unsere bisher vorhandene Vorstellungskraft überschritten –, kann uns auch bereits innerlich sehr stark aufwühlen bzw. geistig massiv aufschrecken. Somit kann diese Stufe der Versuchung – das Konfrontiert-Werden mit einer furchtbaren Anmutung – auch schon sehr belastend für die Psyche sein und den betreffenden Menschen in eine große innere Unruhe versetzen.
Man bedenke, mit welchen furchtbaren Anmutungen Jesus damals in der Wüste durch den Teufel konfrontiert worden ist! Er sollte sowohl dem Willen Seines himmlischen Vaters als auch dem eigenen messianischen Auftrag untreu werden. Und als ob das noch nicht genug wäre, sollte Er sich darüber hinaus auch noch in den Dienst der dunklen Macht des Widersachers Gottes stellen und dessen perverser Logik folgen. Mit anderen Worten: Er sollte ganzheitlich abfallen und den Teufel anbeten! Wenn da jemand noch annehmen wollte, das Gemüt Jesu sei dadurch in keiner Weise belastet worden, der kennt anscheinend nicht hinreichend die menschliche Natur und die betreffende menschliche Gefühlswelt bzw. ist wohl kaltherzig und ignorant.
Nein, dass Jesu Geist durch solche Art diabolischer Anmutungen sehr wohl gewaltig aufgewühlt werden konnte und Er offensichtlich doch gewaltig darunter litt, offenbaren überdeutlich die Worte Jesu, die Er, am Kreuz hängend, kurz vor Seinem Sterben sprach: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ (Mt 27,46.) Hier sprach Er aus, wie sehr Er unter der geistigen Verlassenheit leiden konnte und auch tatsächlich litt, die Er am Kreuz ja letztendlich auch „nur“ nach der Art eines „Anreizes“, einer „bloß“ gedanklichen Anmutung erfuhr!
Somit stellten jene drei Versuchungen durch den Teufel in der Wüste gewissermaßen den Anfang Seines Sühneleidens zum Zweck unserer Erlösung dar. Schon damals hat Er voll bewusst den angekündigten Gang nach Jerusalem angetreten und das Kreuz der menschlichen Schuld auf geistige Weise willig auf die eigenen Schultern geladen. So hat Er zu diesem Zeitpunkt die ganze Sündenlast der Menschheit bereits geistig den Kalvarienberg hinauf getragen – der betreffende stellvertretende Opferwille des Erlösers war da sehr wohl vorhanden!
Zumal dann vor allem auch die Antworten, die Jesus auf das betreffende dreifache Ansinnen des Teufels gab, als ein Werk Seiner Buße zu unseren Gunsten eingestuft werden können, ja müssen, weil sie ja ein klares korrigierendes und kompensierendes Element darstellen und somit unsere geistigen Irrgänge und konkreten sittlichen Irrwege gewissermaßen sühnend wiedergutmachen: „Es steht geschrieben: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus dem Mund Gottes kommt“ (Mt 4,4). „Es steht auch geschrieben: Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen“ (Mt 4,7). „Da gebot ihm Jesus: ‚Hinweg, Satan! Es steht geschrieben: Den Herrn, deinen Gott, sollst du anbeten und Ihm allein dienen“ (Mt 4,10.). Ist doch hier eindeutig sowohl die in höchster Konzentration vorhandene sündhafte Intention des Versuchers entschieden zurückgewiesen und dann auch der heilige Willen Gottes unmissverständlich bejaht worden – gewissermaßen stellvertretend für uns!
Bezeichnenderweise wird dann im Evangelium vielsagend hinzugefügt: „Da verließ Ihn der Teufel, und siehe, Engel kamen herbei und bedienten Ihn“! (Mt 4,11.) Also folgt auf das Zurückweisen der Anfechtungen des Teufels und das unmissverständliche Bejahen des Willens Gottes Sein Segen und Sein Friede in der betreffenden Seele, in diesem Fall auch in der Seele Jesu Christi Seiner menschlichen Natur nach.
■ Indem sich also Jesus mit den betreffenden Anmutungen des Teufels auseinandersetzen musste, war das bereits ein Akt der Sühne bzw. ein Teil Seines Sühneleidens zu unserem Heil! Wenn aber auch wir die praktisch tägliche Erfahrung machen müssen, auf die eine oder andere Weise gegen dieses oder jenes Gebotes Gottes versucht zu werden, können und sollen wir bisweilen diese Versuchungen ebenfalls als ein Akt der Buße ansehen und sie somit über uns gewissermaßen sühnend ergehen lassen.
Es ist klar, wenn wir über jenen „Anreiz“ bzw. jene erfahrene Anmutung hinaus (von der Papst Gregor der Große im Brevier spricht) auch noch jenes „wohlgefällige Verweilen“ an den Tag legen und somit doch auch ein Gefallen am unsittlichen Inhalt der betreffenden Versuchung finden, sündigen wir bereits, weil wir ja das Böse intentional in unser Herz hinein lassen, und es in uns somit geistig gewissermaßen Wurzeln schlagen kann. (Und je länger wir das betreffende Übel nicht mit dessen Wurzeln entfernen, umso zerstörerischer kann es sich dann in uns auswirken!) Umso mehr und umso schwerwiegender sündigen wir natürlich, wenn wir dann dazu auch noch unsere vollbewusste „Einwilligung“ geben!
Aber es gibt ja vermutlich bei jedem Menschen solche Phasen, wo wir sehr wohl gegen die Versuchung ankämpfen und es nicht über den betreffenden „Anreiz“ zur Sünde hinausgehen lassen. Oder man hat aufgrund der eigenen sittlichen Schwäche kurz Gefallen daran gefunden, aber man kehrt dann wieder in den Modus des entschiedenen Aufbegehrens gegen die Versuchung zurück. Der Mensch will letztendlich doch nichts mit ihn schwer belastenden Gedanken irgendeiner Versuchung zu tun haben und leidet sogar aufrichtig unter dem betreffenden Zustand. In ehrlichster Absicht würde er die ihn versuchenden und plagenden Gedanken loswerden - sie verfolgen ihn dann aber trotz seines sittlichen Kampfes, aufrichtigen Gebetes und der bewussten Zuwendung an den göttlichen Erlöser dennoch weiter.
In einer solchen (und eben nur in einer solchen!) Situation kann und soll ein katholischer Christ als treuer Jünger Jesu Christi, der ja unsere Schuld willig auf sich geladen hat, zunächst danach streben, die betreffenden Versuchungen sowohl im Geiste der christlichen Ergebenheit ins eigene Lebenskreuz als auch im Sinne der Buße für die eigenen bisherigen Verfehlungen (die man vielleicht sogar auch auf demselben moralischen Gebiet begangen hat!) anzunehmen und zu ertragen. Und wenn dann dem Betreffenden der christlich inspirierte Großmut reicht, könnte und sollte er dieses leidige und leidvolle Ertragen der Versuchungen – dem Beispiel Jesu folgend! – gerade nach der Art eines stellvertretenden Opfers für die Sünden anderer Menschen darbringen.
Wird jemand auf beschriebene Weise und somit ohne eigenes Verschulden z.B. gegen die göttliche Tugend des Glaubens geplagt, opfere er das Kreuz des Versucht-Werdens vielleicht sogar gezielt für jene auf, die nicht zum Glauben finden oder diesen leider verloren haben! Muss jemand analog Versuchungen gegen die Hoffnung ertragen, ringe er die Versuchung gerade für jene nieder, die hoffnungslos und verzweifelt sind! Trägt jemand die Bürde, auf welche vielfältige Weise auch immer gegen die Liebe versucht zu werden, widerstreite er den oft sehr subtilen Anmutungen des Teufels, die uns zu welcher Art von Lieblosigkeit und Selbstsucht auch immer führen wollten, indem er sich immer wieder und jedes Mal neu für die selbstlose Liebe Gottes und des Nächsten entscheide – intentional vielleicht gerade für jene, die in ihrem Herzen weder die echte christliche Liebe zu Gott noch zum Nächsten empfinden (können oder wollen) und sich eben etwa im gefährlichen Netz von Stolz, Überheblichkeit, Selbstüberschätzung, Herzlosigkeit und Gehässigkeit verstrickt haben!
Analog gehe man auch in Bezug auf die uns manchmal sogar auf Schritt und Tritt verfolgenden Versuchungen gegen alle anderen Gebote Gottes und Tugenden vor, wobei hier heute ganz speziell das 6. Gebot Gottes genannt werden sollte. Wenn wir nämlich aufgrund unserer christlichen Glaubensüberzeugung und Großherzigkeit bereit sind, auf entsprechende Art und Weise das eigene Kreuz unseres (nicht gewollten) Versucht-Werdens doch auch geduldig im Geiste der Buße zu ertragen, vereinigen wir uns auch hierin mit dem Erlöserwillen Jesu Christi, der ja willig die ganze Schuld der gesamten Menschheit auf sich geladen hat und dabei ganz speziell auch die drei Versuchungen durch den Teufel in der Wüste im Sinne eines klaren liebenden Ja zu Gott (samt Seiner Liebe und Vorsehung) und im Geiste der Sühne und Wiedergutmachung für das nicht bestandene Geprüft-Werden der Menschen in analogen Situationen erfolgreich durchgestanden ist!

P. Eugen Rissling

 

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